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Die moderne Snare-Drum schleppt wie einen Schatten die übermächtige
Aura ihrer Vorgängerin (der Marschtrommel) mit sich herum
: die Trommel als Signalgeberin, als militärisches Disziplinierungsinstrument,
als Metronom der soldatischen Bewegungsvorgänge. Durch vielfältige
Präparation, elektrische Verstärkung und ungewöhnliche Spielweisen
wird diese Aura aufgebrochen und umgewandelt - der Snare-Drum
sind plötzlich liebliche, zarte Töne zu entlocken und ihre
durch die Tradition zementierte Aura löst sich auf in einem
neuen, reicheren Klangkosmos.
Die menschliche Stimme, zweites Klangaggregat in cosmic comix,
nimmt beiläufige, "banale" Alltagsäußerungen zum Ausgangspunkt
und stellt sie in überraschende mikroskopische und makroskopische
Zusammenhänge, getreu der berühmten "butterfly wing theory":
wenn in China ein Schmetterling mit dem Flügel schlägt, ändert
sich der Lauf der Welt.....
Aus dem Ineinandergreifen dieser beiden Klangaggregate entstehen
groteske und poetische Hör-Spiele - galaktische Fäden durch
die Zeiten und Räume....
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Intellektuelle Klangreise
vom Endlichen bis ins Unendliche
Reinhard
Karger und Olaf Pyras boten im großen Bali
eine philosophische Klang-Performance mit Witz
Der Planet Uranus ist auf die Leinwand
des großen Bali-Kinos projiziert. Ein Schlagzeuger und ein
Stimmkünstler ergehen sich davor in allerlei ungewöhnlichen
Klängen. Der eine streicht zum Beispiel mit einem Geigenbogen
über einen Schneebesen, der auf einer Snare-Drum als Resonanzkörper
liegt.
Der andere pfeift, bläst Luft durch die Lippen, macht Plopp-Geräusche.
Und wiederholt Sätze, die es in sich haben: Alles was existiert,
existiert gerade dadurch, dass es durch seine Verhinderung
existiert. Bei Cosmic Comix, dem neuen Projekt von Reinhard
Karger (Stimme) und Olaf Pyras (Trommel), handelte es sich
um ein intellektuell ansprechendes, oft witziges Spiel um
die letzten Dinge.
In einer straff organisierten Stunde zeigten die beiden in
der Kasseler Neuen Musik-Szene prominenten Künstler, dass
es oft nur ein kleiner Schritt vom Banalen in den Kosmos,
vom Endlichen ins Unendliche ist. Bei einer Straßenbahnfahrt
hat Karger das Gespräch aufgeschnappt: Bernd heißt er, aber
wie weiter, oder Michael. Theologische Brisanz erhielt diese
triviale Unsicherheit dadurch, dass Karger sie nach den zwölf
Arten von Gottesbeweisen zitierte.
Gut ausgedacht waren auch die musikalischen Aktionen, mit
denen das Duo die Gedankenspiele widerspiegelte. Umstellung
der Worte und Wiederholungen gaben den Alltagsäußerungen eine
Wendung ins Artifizielle. Dass die Snare Drum gegen ihren
herkömmlichen Charakter eingesetzt wurde, gehörte ebenfalls
zum Thema Transzendierung des Gewöhnlichen.
Durch leises Trommeln mit den Fingerspitzen entkleidete Pyras
etwa einen Marsch-Rhythmus des martialischen Pomps. Einmal
sorgte das Streichen auf simplen Aluminiumröhren für einen
ätherischen Sound, der auch den letzten Romantiker für die
Performance einnahm.
Bleibt noch zu erwähnen, dass sich das Bali vorzüglich für
solche grenzgängerischen Veranstaltungen eignet - wegen der
guten Akustik und der Aura, mit der ein Kinosaal die Fantasie
anregt. Es soll deshalb ab Juni für die von Reinhard Karger
und Frank Thöner koordinierte Konzertreihe Soundcheck - neue
Töne im Kulturbahnhof genutzt werden.
Georg Pepl
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