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Aufführung
Staatstheater Kassel 2000
Julia Huss, Wolfram Mucha, Peter Anger, Michael Fajgel (von
oben) |
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Remedia Amoris - ein Männerkonzert
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Musiktheater für 5 Schauspieler und eine Schauspielerin
1999/2000
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Fünf Männer sitzen am Stammtisch und brüten
vor sich hin, sie wollen ihre Ruhe haben, ihren Gedanken nachhängen
und trinken; sie wollen eigentlich nichts miteinander zu tun
haben, vermeiden Blickkontakt und körperliche Berührung, sie
sprechen nicht miteinander...... trotzdem sind sie gerne da,
sie brauchen die Stallwärme, das Gefühl, nicht allein zu sein,
das Singen und den Alkohol...... sie treffen sich oft, sind
aber doch "zusammen allein"......
Das ist die theatralische Grundbehauptung von "remedia
amoris": fünf Monologe im halböffentlichen Sprach-Raum "Stammtisch".
Wie verhalten sich nun diese Monologe zueinander in der Zeit?
Das ist eine Fragestellung, die dem Musiktheater entstammt,
und hier nimmt die Vorstellung eines "Musiktheaters für
Schauspieler" Ihren Anfang. Die Idee war, die Monologe kompositorisch
zu organisieren, ich wollte die Schauspieler führen wie Orchesterinstrumente,
wie fünf charakteristisch ausgeprägte Stimmen im Tonsatz in
einem Bläserquintett weiß die Flöte nichts vom Horn, sie hat
eine anders ausgeprägte Klangfarbe, sie erzählt eine völlig
andere "Geschichte" als ihr tenoraler, von Post- und
Waldassoziationen affizierter Kollege, und doch können sich
beide wunderschön in! einen musikalischen Zusammenhang einfügen,
ja sie konstituieren durch ihre Unterschiedlichkeit erst den
gemeinsamen Klang. Genauso - so stellte ich mir vor -sollten
diese fünf sehr verschiedenen Männer einen gemeinsamen Sprech-
und Klangraum bilden, und so "zusammen" sein, obwohl
jeder - als schauspielerisch gestaltete Figur - nur "für
sich" ist.
Die Rituale des Trinkens und Singens sind gespeist aus dem
unerschöpflich reichen Fundus des deutschen Männerchores,
dessen Entstehung in dieselbe Zeit fällt wie das Schaffen
von Franz Schubert, der seinerseits - sozusagen als "Patengeschenk"
- die musikalische Substanz unseres Hauptthemas beigesteuert
hat.
Für die Textsplitter, in denen das Erhabene und das Banale
einen schrägen Pas-de-deux durch 2000 Jahre Männergeschichte
tanzen', bin ich folgenden Personen zu besonderem Dank verpflichtet:
In erster Linie Ilse, Hermann und Bernd Gieseking, die mich
an einem etwas feuchten und sehr fröhlichen Nachmittag in
Kudenhausen in das Thema einführten, sowie Verena Joos, ohne
deren mannigfaltige Hinweise auf ihre exzellent sortierte
Privatbibliothek das Stück so nicht entstanden wäre.
Ein herzliches Dankeschön für textliche Anregungen geht außerdem
an:
Ovid, Eckhard Krug, Eckhard Henscheid, Albertus Magnus, Johanna
Joos,
Eugen Egner, Petra Hartmann, Gerd Koch, Michel Houellebecq,
Hanna und Bärbel Joos, Roald Zellweger und Roy Black.
Reinhard Karger
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PRESSE |
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Hessische / Niedersächsische Allgemeine, 17. April 2000 |
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URAUFFÜHRUNG
Der Stammtisch wird Musik
Reinhard
Kargers Musiktheater Remedia amoris, das in der Explosiv-Reihe
des Staatstheaters im Frizz uraufgeführt wurde, sucht und
findet die verletzte Männerseele am Stammtisch.
Introduzione zeigt eine Leuchtschrift über der Bühne
an. Dann sitzen da fünf Männer an einem halbrunden
Tisch, vor sich Bier- und Schnapsglas. Minutenlang passiert
nichts. Die fünf so unterschiedlichen Mannsbilder feiern
ihre Gemeinschaft: sie brüten vor sich hin. Aus dieser
dichten Stille entsteht ein Summen, erst einstimmig, dann
fallen die anderen mit ein, und schließlich singen die
Männer im fünfstimmigen Satz ein süddeutsches
Wirtshauslied: Wir gehn nicht heim, wir bleiben da.
Erster
Satz eines Musiktheaterstücks, mit dem der Kasseler Komponist
Reinhard Karger nicht
lediglich eine Handlung vertont oder musikalisch kommentiert,
sondern die Handlung selbst zum Klingen bringt: im Männerchorgesang,
im Sprechen, im Lachen, im Schimpfen, im Weinen, im Schweigen.
Und zwar in der formalen Gestaltung einer klassischen Komposition
mit einer Abfolge von Sätzen: Der Stammtisch wird Musik.
Nicht immer so formal streng wie im Scherzo, einem langen
An- und Abschwellen von Gelächter, in dem sich die Stimmen
zu einem polyrhythmischen Lachstück vereinen.
Die fünf Männer werden von Schauspielern und nicht
von Sängern verkörpert, denn es handelt sich, wie
der Untertitel sagt, um ein Männerkonzert, ein Konzert
der Männer und nicht von Musikern. Jeder hat seine Stimme
und seine Geschichte: Einer war mal Schlagersänger, lang
ists her, dass er Briefe von Bewunderinnen kriegte. Michael
Fajgel spielt ihn in dandyhafter Verzweiflung.
Ein anderer, jung, langhaarig, (Daniel Schäfer) hat merkwürdige,
religiös verbrämte Fantasien über Frauen. Der
nächste träumte von einer Theaterkarriere, bevor
er als Darsteller in Schulungsfilmen endete, Herwig Lucas
verkörpert ihn eindrucksvoll als Virtuosen leerer Worthülsen.
Wolfram Mucha ist ein alter Fußballer, der noch immer
dem verlorenen Wembley-Endspiel von 1966 nachhängt, in
Wahrheit aber einer verlorenen Liebe nachtrauert. Und schließlich
Peter Anger als ehemaliger Lehrer, der von peinlichen Erinnerungen
an sexuelle Verfehlungen mit einer Schülerin geplagt
wird.
Gelächter am Stammtisch auch das kann Musik
sein.
Von links: Michael Fajgel, Daniel Schäfer, Herwig Lucas,
Julia Huss(Bild oben), Wolfram Mucha, Peter Anger
Fotos: Thomas Huther
Karger und die Darsteller entwickelten
aus diesem Stoff fünf Monologe, denn zusammen kommen
die Stammtischler nur in den Trinksprüchen und im gemeinsamen
Singen. Genauso statisch wie die schwerblütigen Lieder
ist der Stammtisch insgesamt, der ja nur eine Bewegung kennt:
den Durchfluss des Bieres. Eine junge Bedienung (Julia Huss),
von den Männern stumm begehrt, bringt den Nachschub,
entsorgen im Pissoir müssen die Herren selbst.
Karger
gelingt es eindrucksvoll, alles Groteske, alles Elend dieser
letztlich liebeskranken Figuren im Sentiment des Männerchores
zu bündeln. Nicht nur, dass die Schauspieler die vollstimmigen
Gesänge vom Weserlied bis Röslein rot wunderbar
bewältigen, es klingt darin ein fast vormusikalischer
Ton an von Klage und Besänftigung. Karger findet diesen
Ton ganz ursprünglich bei Schubert. Unterlegt mit Ovids
Remedia amoris (Heilmittel gegen die Liebe), wirkt das Adagio
aus Schuberts c-moll-Klaviersonate im Chorsatz wie eine Keimzelle
jener sehnsuchtsvollen Romantik, die zum Kern deutscher Innerlichkeit
gehört. Sie ist nicht eigentlich lebensfroh, sondern
will erlittene Verwundungen heilen. Und nie ist es weit bis
zum Umschlagen in Aggression. Auch davon könnte man ein
Lied singen.
Werner Fritsch
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