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Marcel Proust
Marcel Proust
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Seul, en train de ...
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für Stimme und Kontrabaßklarinette
nach einem Text von Marcel Proust
von Reinhard Karger und Wolfgang Stryi |
1998/99
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Ein Reisender auf einer langen
nächtlichen Zufahrt er sitzt allein im Abteil, er ist
müde und versinkt allmählich in einen eigentümlichen Dämmerzustand,
eine Art Trance, wo die Grenzen von Tag und Traum sich verwischen
...
Karger und Stryi transformieren den Proust'schen Originaltext
an die Grenze von Sprache und Musik, in einen Klangraum, in
dem die klare Zeitgliederung unserer mitteleuropäischen Sprachtradition
aufgelöst wird zugunsten eines Dämmerreiches von feinen
und überraschenden musikalischen Nuancen, wo individuelle
und objektive Zeit sich in jedem Augenblick neu definieren.
Wolfgang Stryi ist Klarinettist und
Saxophonist bei einer der international erfolgreichsten Gruppienrungen
für neue Musik, dem Frankfurter "Ensemble Modem". Reinhard
Karger lebt als Komponist, Musiker und Hochschullehrer in
Kassel.
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Ensemble Modern
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PRESSE |
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Frankfurter Rundschau, 21. Dezember 1999 |
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Versuch über die gewonnene Zeit |
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Ein musikalisches Proust-Projekt von Reinhard
Karger und Wolfgang Stryi im Hessischen Literaturbüro Frankfurt
Im Künstlerhaus Mousonturm zu Frankfurt am Main befinden sich
nicht nur zwei Bühnen für Darstellende Künste, sondern auch
das Hessische Literaturbüro, in dessen Räumlichkeiten regelmäßige
Lesungen und Veranstaltungen grenzüberschreitender Art durchgeführt
werden.
Diesmal war hier die Musik zu Gast, aber zweifellos eine literarisch
eminent inspirierte schon lange erlebte man nicht in
dieser Intensität, in welchem Maß Schriftstellersprache auf
musikalische Phantasie einzuwirken vermag und diese befruchtend
anspornt. Es kam dabei zu einem Höhenflug der Synästhesie, wie
er zum Jahresende nicht sinnlicher und besinnlicher sein könnte.
Reinhard Karger und Wolfgang Stryi nehmen sich eines Textes
von Marcel Proust an, in dem sich ein imaginärer Zeitreisender
während einer nächtlichen Zugfahrt auf der Suche nach jener
verlorenen vierten Dimension begibt. Stryi spielt Kontrabassklarinette
doch was heißt hier: spielt? Er haucht in den Korpus
dieses ungeheuerlichen Instrumentes, setzt übergeblasene Flageoletta
darüber und erzeugt damit fast ohne Mittellagen
jenen urwüchsigen Odem, den man im Wind eines norwegischen Fjords
genauso hört wie im Raunen und Rauschen einer Dampflokomotive.
Der Reisende bei Proust verliert sich während dieser Zugfahrt;
er nickt ein, und zwischen den verschiedenen Stadien des Dahindösens
drückt ihm der Atem der Lok und der Räder seinen Stempel in
die Assoziationen des Halbschlafs, in dem er ständig sich bewegt,
so als sei der Zug ein stehendes Gehäuse, das sich dem Auftrieb
des Sturmes entgegenstemmt.
Karger spielt ein wunderbares Instrument: die menschliche Stimme.
Meist haucht er, dann bündelt er Zischlaute, und stets findet
er die kongeniale Entsprechung zu Stryis Instrument, dem er
etwas entgegenzusetzen hat und mit dem er zu einer Einheit verschmilzt,
so wie der anonyme Zeitreisende in der Textvorlage, der noch
die Sechzehntelnoten aus der Vorgabe der Dampflokomotive, der
Zeit, des Lebens heraushörte.
Und diese Textvorlage ist sehr widerstandsfähig. Karger springt
zwischen den Worten und lyrischen Bildern nach einem ausgeklügelten
Prinzip. Er und Stryi sind Studienkollegen.
Wolfgang Stryi muss man nicht mehr vorstellen, er ist einer
der bedeutendsten Holzbläser Europas (welches Mitglied des Ensemble
Modern könnte das nicht von sich sagen?), Reinhard Karger ist
ein Studienkollege aus dem Fachbereich Komposition, und er komponiert
hier in einer Mischung aus strikter Konzeption indem
er mit mathematischen Vorgaben ganz kalkuliert arbeitet und
sich dann wieder mit der Bassklarinette trifft, ihren Hauch
aufnimmt, ihn wieder zurückgibt und damit dem Text ein mächtiges
Eigenleben einhaucht. Die Übersetzung hat Eva Rechel-Mertens
besorgt, und ihre Stabungen der Zischlaute kommen dieser imaginären
Eisenbahnfahrt sehr zugute, die von singender Stimme und schwingendem
Holz in höchster Lautmalermeisterschaft umgesetzt werden.
Die Frage, ob die "temps" am Ende dieses Jahrtausends "perdu"
sind, erhebt sich nicht. Dargestellt wird hier ein ewiges "panta
rhei" von Hauch und Harmonie, von Wort und Widerwort, das dieses
zerrissene Millennium in einer lyrisch-musikalischen Sternstunde
wohlig ausklingen lässt.
Michael Rieth
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Frankfurter
Rundschau, 4. April 2000 |
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(...) Wunderbar ausgehört, von ungeahnter Tiefenschärfe
und in allen gestaltplastischen Graden gegenwärtig war
die Klangbildung von Wolfgang Stryi (Kontrabassklarinette) und
Reinhard Karger (Stimme) in ihrem gemeinsam geschaffenen Musikprojekt
nach einem Text von Marcel Proust ... seul, en train de ...
wobei es um die Zeiterfahrung während einer Nachtfahrt
mit der Eisenbahn geht. Das Stück war nicht notiert und
doch auf der Höhe kompositorischer Differenziertheit -
solange und genau haben die beiden Musiker Ihren Versuch entwickelt.
Das Zittern
und Surren, Rattern und Pulsieren des sich bewegenden und
doch
als Kabine ruhenden Abteils mit all seinen traumatisch abschweifenden
und
Grenzzonen des Vorbewussten erreichenden Konsequenzen war
eine grandiose
Klangrecherche. Die beiden Musikprofis vollbrachten eine Leistung,
die im Gegensatz zu den Benufsgrenzgängern im Kunstgewerbe
einmal wirklich als Gratwanderung zu erkennen war: die subtilste
Form, eine Dampflok in Gestalt der lungen- und lippennahen,
inner- und außerkörperlichen Luftröhren zu
einer Fahrt in die Vorhöfe des Unbewussten zu bewegen.
(...)
Bernhard Uske
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