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Die Orchesterprobe
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Musiktheater von
Verena Joos und Reinhard Karger |
2004/2005
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Die Orchesterprobe - Genese einer Idee
Ich habe lange Jahre meines Arbeitslebens in Theatern verbracht, und von Anfang an hat mich besonders der Orchesterapparat fasziniert, nicht nur als Generator schöner und furchterregender Klänge, sondern auch als geschützter Lebensraum, in dem sich Menschen und Schwingungen auf einzigartige Weise begegnen. Wie ist es möglich, dass ein schlecht gelaunter Fagottist, der eben noch in der Kantine die übelsten Zoten gerissen hat, zehn Minuten später durch sein Spiel den edelsten Gefühlen Gestalt verleiht und das Publikum zu Tränen rührt? Was ist das für eine seltsame Gesellschaft, in der sich die verschiedenen Individuen und Interessengruppen genau wie im „richtigen Leben“ gegenseitig bekämpfen, und die doch übereinkommt, sich so zu disziplinieren, dass eine Botschaft über die Rampe oder aus dem Graben kommt, die alle Widersprüche aufhebt?
Früh wurde die Idee geboren, diesen modellhaften Kosmos mit all seinen grotesken und poetischen Verwerfungen einmal in einem Musiktheaterstück exemplarisch darzustellen. Erste Anregungen gab das Gastspiel der französischen Theatergruppe „Mie de pain“ Mitte der 80er-Jahre in Freiburg im Breisgau: dort wurde ein merkwürdiges Blockflötenorchester dargestellt, dessen durch und durch korrupte und intrigante Mitglieder keine Gemeinheit auslassen und schließlich den Dirigenten umbringen. Dann die Begegnung mit Karl Valentins „Orchesterprobe“: jegliche musikalische Bemühung scheitert am faulen und desinteressierten Trompeter, der es fertig bringt, während der ganzen Szene nicht einen einzigen Ton zu spielen. Und schließlich der berühmte Film von Federico Fellini: das Orchester als Modell für die politische und soziale Gemeinschaft und ihre Verwandlung im Lauf der Geschichte.
All diese „Patenideen“ haben lange im Hintergrund gearbeitet und gedrängt – und nun ist tatsächlich ein Stück draus geworden. Allerdings hätte es so das Licht der Bühnenwelt nie erblickt ohne die kongeniale Mitwirkung der Autorin Verena Joos, die die Szenerie in einem abgehalfterten Theaterbetrieb angesiedelt und den Darstellern die Texte auf den Leib geschrieben hat, sowie des Grafikers und Fotografen Thomas Huther, des Lichtdesigners Michael Koch und der Kostümbildnerin Sonja Huther. Ihnen und allen unseren Darstellern herzlichen Dank für die hingebungsvolle Geburtshilfe!
Kassel, im August 2005
Reinhard Karger
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PRESSE |
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Hessische / Niedersächsische Allgemeine, 12. September 2005 |
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Weil auch Töne lügen können
"Die Orchesterprobe" von Verena Joos und Reinhard Karger im Gloria
Von Dirk Schwarze
Ist das nicht alles Theater, was wir auf der Bühne sehen? Tun sich nicht hinter dem perfekten Zusammenspiel und der viel beschworenen Harmonie Abgründe auf? Das mag wohl sein. Jedenfalls stellen Verena Joos (Text) und Reinhard Karger (Musik und Regie) in ihrer neuen Revue „Orchesterprobe“ uns einen verlorenen Haufen von Musikern vor, die Harmonien erzeugen wollen, in Wahrheit aber untereinander Krieg führen. Das Premierenpublikum im fast voll besetzten Gloria ließ sich gut unterhalten und spendete begeistert Beifall.
Verena Joos (Text) und Reinhard Karger (Musik) sind ein erprobtes Gespann. In der Verbindung von Sprechtheater und Musik haben sie für sich die Revue als Gestaltungsform entdeckt und mit zwei Produktionen („Ich will keine Schokolade“, „Schluss mit Lustig“) auf diesem Feld schon Erfolge eingeheimst.
Ihre neue Produktion fügt der Selbstbespiegelung des Theaters durch den Blick auf das Probenspiel eine unterhaltsame Variante hinzu. Dabei ist der Anlass, aus dem sich die Geschichte entwickelt, erschreckend und bedrohlich: Ein Theater wurde geschlossen. Übrig geblieben ist ein siebenköpfiges Orchester, das noch ein Recht und die Pflicht zu Aufführungen hat. Aber weil die Lage so aussichtslos
ist, wird die Musik, die an die Klänge eines Kurorchesters erinnert, von Trauer und Melancholie durchzogen.
Immer wieder wird die Generalprobe unterbrochen,
weil sich die Musiker gegenseitig nerven, weil sie einmal ihre Verzweiflung und Wut herausschreien müssen und weil sie in faszinierenden Soli zeigen können, dass sie auch ganz anderer Leistungen fähig sind. So entpuppt sich das Zusammenspiel als große Selbsttäuschung. Selbst die Hoffnung, dass ,Töne nicht lügen können, erweist sich als Illusion.
Joos und Karger gelingt es, aus dem traurigen Szenarium eine Groteske zu machen, die wesentlich von der Musik getragen wird. Allerdings überfordert die Länge der über 100-minütigen Produktion den Text. Die Geschichte würde von einer deutlichen Verdichtung profitieren.
Dass der Abend zu einer kurzweiligen Unterhaltung wurde, ist der Tatsache zu verdanken, dass Joos und Karger
um sich ein hervorragendes Team versammelten. Die Musiker entfalteten sich als überzeugende Schauspieler, die eindringlich kauzige Charaktere vorführten.
Unbestrittener Star war Hugo Scholz als penetrant belehrender Alban (Saxofon), dessen gepresste Redeweise unvergesslich bleibt. Aber auch Regine von Lühmann (Kontrabass), Maria Weber-Krüger (Geige), Jürgen Sprenger (Trompete), Kathrin Vogler (Akkordeon), Stefan Hülsermann (Klarinette) und Michael Knauff (E-Gitarre) setzten nicht nur musikalisch Glanzlichter, sondern gefielen auch als eine Ansammlung von Sonderlingen. Dass die Probe immer wieder in die Gänge kam, dafür sorgte Andrea Gloggner als Mädchen für alles. Ihr ganz persönliches und erotisches Verhältnis zu den Musikinstrumenten hatte den Boden für die Revue bereitet.
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